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Der Brandstatterhof in Waakirchen

„Das Schönste im ganzen Jahr sind die Leonhardi-Fahrten, wenn wir die Rösser waschen und herrichten, das schöne Geschirr anlegen und am Sonntag die Bittfahrt machen. Das ist jedes Jahr das Größte.“ Was Sepp Jackl so ins Schwärmen bringt, ist eine Prozession, die Anfang November am Gedenktag des heiligen Leonhard von Limoges begangen wird. Der Heilige wird in Altbayern als Schutzpatron des Viehs, insbesondere der Pferde, verehrt.

Bereits seit vierzig Jahren bietet Sepp Jackl, dessen Hof in Waakirchen zwischen Bad Tölz und dem Tegernsee liegt, nun schon Kutschfahrten im Nebenerwerb an. Die Anlässe für eine Buchung sind vielfältig: Weihnachtsfeiern, Firmenausflüge oder der Schulbeginn, am häufigsten sind Geburtstagsfeiern. Seit dreißig Jahren ist Sepp zudem der Kutscher des hiesigen Nikolaus, der je nach Wetterlage auch im Pferdeschlitten fährt. Und weil sich die Ansprüche der Kundschaft verändert haben, sind mittlerweile auch romantische Touren bei Vollmond im Angebot, einen anschließenden Umtrunk in der rustikalen Almhütte inklusive.

„Beim Generationenthema haben wir keine Sorgen. Wir haben die Kinder immer bei den Arbeiten dabeigehabt. Die waren schon im Kinderwagen im Stall.“

Elfriede Jackl

Dennoch, die Leonhardi-Fahrt ist und bleibt für ihn etwas ganz Besonders. Wenn es denn einen für die Belange der Bergbauern zuständigen Heiligen gibt, ist es der „Lenardi“, wie er hier auch genannt wird. Die Tradition der Leonhardi-Fahrten reicht bis ins 15. Jahrhundert zurück. Je nach lokaler Prägung ist es eine Mischung aus Umzug, Wallfahrt und Volksfest, wobei die Tiersegnung eine besondere Rolle einnimmt und Pferde auf keinen Fall fehlen dürfen. Die Tölzer Leonhardi-Fahrt ist nach Größe und Aufwand die Bedeutendste, was sich seit 2016 auch in der Anerkennung als nationales UNESCO-Kulturerbe niederschlägt. Die Kriterien für die Teilnahme eines Gespanns sind streng; lediglich beschlagene Holzräder ohne Gummireifen sind zugelassen – und vierspännige Wagen. Da Sepp Jackl selbst nur drei Kaltblüter besitzt, leiht er sich dafür von einem Freund zusätzlich ein viertes.

Die Landschaft, für die die Bergbauern stehen, ist mehr als Alm, Weide und Wald. Sie ist Kulturlandschaft und schließt neben dem Erhalt der Artenvielfalt ebenso das überlieferte Brauchtum ein. Dazu gehören auch die Bauernregeln, deren Zahl schier endlos ist. Dem heutigen Städter erschließen sie sich oftmals nur schwer, zumal sich viele auf den Heiligenkalender beziehen, wie dieser: „Bringt Genoveva Sturm und Wind, so ist uns Waltraud oft gelind.“ Wer weiß schon noch, auf welchen Tag im Jahr Genoveva (3. Januar) oder Waltraud (9. April), Sankt Kunigund oder Sankt Rochus fallen?

Eine Bauernregel für den 6. November lautet: „Wie’s Wetter an Lenardi ist, bleibt’s bis Weihnachten gewiss.“ Eine andere kommt dagegen ohne Wettervorhersage aus: „Nach der vielen Arbeit Schwere, an Leonhardi die Rösser ehre.“

Sepp Jackl bietet auch Kutschfahrten mit seinen Pferden an.

Der Respekt vor den Nutztieren und die tiefe Verbundenheit beschränkt sich freilich nicht auf den Festtag, sondern erstreckt sich über das ganze Jahr. „Jede Kuh hat einen eigenen Namen“, sagt Sepps Frau Elfriede. „Das absolute Highlight im Stall ist, wenn ein Kälbchen kommt und alles gut geht. Die ersten fünf Tage gibt es Muttermilch, dann kommen Vollmilch und Heu hinzu. Alle können wir nicht behalten. Manche müssen wir verkaufen. Wenn eine Kuh oder ein Kälbchen krank ist, leide ich selbst mit. Da steh ich dann auch mitten in der Nacht auf. Die Kälber sind fast wie die eigenen Kinder.“ Auf dem Hof ist Elfriede seit ihrer Heirat 1988. Es war eine Zufallsbekanntschaft, erinnert sich Sepp – und gleich Liebe auf den ersten Blick. Eigentlich hatte sie einen Handwerksberuf erlernt. „Die landwirtschaftliche Ausbildung folgte erst, nachdem bereits zwei Kinder auf der Welt waren“, erklärt Elfriede und fügt hinzu: „Weil ich schon auch Fachwissen haben wollte.“ Inzwischen sind es vier Kinder und drei Enkel.

Den Hof hat das Paar 2005 übernommen, als Sepps Vater in Rente ging. Über das Generationenthema machen sie sich keine Sorgen. „Wir haben die Kinder immer bei den Arbeiten dabeigehabt“, meint Elfriede. „Die waren schon im Kinderwagen im Stall. Wir haben sie schon früh viel selbst handeln lassen.“ Wichtig für die Vorbildfunktion sei gewesen, „sie merken zu lassen, dass wir die Arbeit gern machen und nicht die ganze Zeit jammern.“

Elfriede Jackl bei der Arbeit im Stall.

Die Tochter fährt ebenso gut Traktor wie ihre drei Brüder. Alle haben landwirtschaftsnahe Berufe gewählt und wenn auch voraussichtlich der älteste Sohn die Hofnachfolge antreten wird, stehen die jüngeren ebenfalls bereit, falls es doch anders kommen sollte.

Obwohl die Familie über keine eigene Alm verfügt, ist es Sepp wichtig, die jungen Rinder im Sommer am Berg in Pension zu geben. Dort sind sie den ganzen Tag in Bewegung und lernen, welche Pflanzen für sie bekömmlich sind und welche sie meiden müssen. Auf diese Weise würden sie robust und gesund und bekämen letztlich zehn bis 15 Kälber. Eine Kuh ausschließlich im Stall zu halten, findet er nicht richtig. Die vielen gesunden Gräser und Kräuter auf der Alm haben für ihn noch einen weiteren Effekt: „Durch den Kot der Tiere kommen die Samen im Herbst wieder mit herunter auf die heimischen Wiesen und dort vermehren sich die Kräuter dann auch.“ Seine Frau Elfriede wünscht sich deshalb mehr Wertschätzung. „Ohne die Kleinbauern hätten wir nicht mehr die schöne Gegend rund um den Tegernsee, sondern nur braune oder zugewachsene Wiesen, weil sie keiner mehr bewirtschaftet. Bergbauern mähen halt auch mal eine kleine Wiese mit, aber die großen Maschinen können das nicht. Das sollten sich die Leute mal durch den Kopf gehen lassen, wenn sie immer gegen die Landwirtschaft wettern.“

Sonnenaufgang auf der Sudelfeld Alm.

An sich stört Elfriede der anstrengende Alltag mit wenig Freizeit oder Urlaub überhaupt nicht. Ein durchschnittlicher Arbeitstag beginnt um fünf Uhr in der Frühe und endet abends gegen acht. „Was mich aber furchtbar nervt“, sagt sie, „ist der ganze Papierkram. Wie lange ich im Büro sitze, ist der pure Wahnsinn. Manche Belege muss man dreifach ablegen. Keiner hat mehr den Durchblick und das Wichtigste in der Landwirtschaft ist mittlerweile der Kopierer.“

Sepp ist froh, dank seiner Frau von der Bürokratie weitgehend verschont zu sein. Und die gute Seite seines Berufs will er sich nicht nehmen. Bergbauer zu sein, ist für ihn ein großer Unterschied gegenüber den Bauern im Flachland: „Die Gegend ist einfach schön und man macht das mit Herzblut.“