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Der Oberrisshof am Schliersee

Während seiner Ausbildung zum Landwirt befuhr Martin Leitner jun. die Felder mit einem komfortablen Traktor, der vorne und hinten ein großes Mähwerk hatte. „Mit eingeschaltetem Radio und Klimaanlage.“ Er brauchte nicht lange, um den Unterschied zwischen der Lehre und der Realität auf dem elterlichen Hof herauszufinden: „Bei uns am Berghang ist es ein bisschen anders. Da läuft man dem Motormäher in der prallen Sonne hinterher.“

Für seinen Vater, Martin Leitner sen., macht genau dieser Unterschied das Spannende aus. „Wir sind noch ein richtiger Bergbauernbetrieb mit Hanglagen, bei denen man Spezialmaschinen braucht.“ Mit Tieren und Technik muss man sich gleichermaßen gut auskennen. Geht etwas kaputt, kann nicht gleich ein Handwerker bestellt, wird eine Kuh krank, nicht gleich der Tierarzt gerufen werden.

„Verletzte Tiere behandeln wir weitestgehend selbst. Meist verwenden wir Kräuter, zum Beispiel Beinwell, oder Honig, den wir auch selber produzieren.“

Magdalena Leitner

Was im letzteren Fall zu tun ist, erläutert Martins Frau Magdalena: „Verletzte Tiere behandeln wir weitestgehend selbst. Meist verwenden wir Kräuter, zum Beispiel Beinwell, oder Honig, den wir auch selber produzieren.“ Eigentlich wollte Magdalena als gelernte Krankenschwester medizinische Hilfe den Menschen angedeihen lassen, doch weil sie selbst aus der Landwirtschaft kam, hat es sie dann doch wieder dort hingezogen: „Die Betreuung der im Durchschnitt 30 bis 35 Rindviecher – Kühe, Jungrinder und Nachzucht – ist so intensiv. Deshalb habe ich entschieden, dass wir zusammenarbeiten und habe die Kinder gleich mit eingespannt.“ Es sind vier an der Zahl. Neben Martin, dem Ältesten, der an seine Lehre als Landwirt noch den Landwirtschaftsmeister drangehängt hat, sind das Maria, Barbara und Georg.

Martin Leitner jun
Martin Leitner jun. ΔΔ

Für Menschen kann es dann gefährlich werden, wenn bei Nässe am Hang gearbeitet werden muss. Viel Erfahrung ist nötig, um das unfallfrei zu bewältigen. Als Martin sen. vor etlichen Jahren selbst noch in der Ausbildung war, rieten ihm wegen solcher und anderer Schwierigkeiten viele ab, Bergbauer zu werden. „Man muss hier aufgewachsen sein, um zu wissen, was zu tun ist“, meint daher der jetzige Betriebsleiter des Oberrisshofs, der sich am Schliersee in 900 Metern Höhe befindet. „Unsere Familie ist jetzt in der zehnten Generation Hofeigner.“ Genauer gesagt seit 1717, wohingegen der Hof bereits im 15. Jahrhundert urkundlich erwähnt wurde. „Das Besondere ist, dass unsere Vorfahren wegen der Hanglage hier wirklich etwas leisten mussten.“

Bergbauer Martin Leitner sen. auf dem Weg zur Unteren Schönfeldalm.

Manches hat sich seit diesen Zeiten bis heute kaum geändert. Durch die besondere Lage kann der Tankwagen den Hof nicht anfahren, stattdessen muss die Milch alle zwei Tage hinunter ins Dorf gebracht werden. „Bei uns ist es noch üblich, die Tiere vom Hof auf die Alm zu treiben“, erklärt Martin sen.. „Die Strecke beträgt 14 Kilometer und unsere jüngeren Tiere orientieren sich dann an denen, die den Weg schon kennen.“ Er hält dieses Verfahren nach wie vor für die beste Variante, weil man sich so das Eintreiben in einen LKW erspart, wie auch die anschließende Säuberung, denn dort werden die Tiere dreckig und erledigen ihr Geschäft auf den Boden. „Wenn die Tiere aus dem Lastwagen kommen, kennen die sich gar nicht aus und müssen sich erst einmal zurechtfinden. Bei uns ist es dagegen eine ruhige Sache. Es ist das Einfachste und Natürlichste, was es gibt. So machen wir das seit Jahrzehnten.“ Und Magdalena fügt hinzu, dass es für die Tiere auch schon allein wegen der Bewegung besser sei. Um zwei Uhr nachts muss das Auftreiben bereits beginnen, da ist auf der Landstraße der wenigste Verkehr. Abgesichert wird vorn und hinten mit Blinklicht.

Die Alm teilt sich die Familie mit sechs anderen Besitzern. „Die Tiere kommen zuerst für etwa vier Wochen auf die Niederalm, dann für acht Wochen auf die Hochalm, bis es wieder von vorn losgeht“, erläutert Martin jun.. „So wird immer der ganze Bewuchs gefressen.“ Ist kein Futter mehr da oder der Schnee gekommen, findet der Almabtrieb statt. Einklang mit der Natur ist auch seiner Mutter besonders wichtig: „Wir haben enorm viele Kräuter, eine einzigartige Wertschöpfung, und schauen, dass alles in perfekter Symbiose ist. Deshalb mähen wir erst Mitte bis Ende Mai, wenn auf den Wiesen vieles schon wieder abgeblüht ist, wie zum Beispiel der Löwenzahn, damit alles nachwachsen kann.“

Auf dem Hof wird eine Kombinationshaltung praktiziert: Im Stall sind die Tiere angebunden, kommen aber an jedem Sommertag nach draußen. Ein Umstieg auf einen Laufstall ist nicht realistisch, da es an einem ebenen Platz fehlt und die Kosten unverhältnismäßig wären. Aus Sicht von Martin sen. hat diese Art der Haltung auch positive Aspekte. „Die Klauen schauen meist viel besser aus, da die Tiere im Trockenen stehen. Jede Kuh hat ihren eigenen Platz, es gibt keine Rangkämpfe. Nach dem Fressen möchten die Tiere ihre Ruhe haben und sich nicht wirklich noch durch den Stall bewegen. Dafür haben sie den ganzen Sommer. Ich denke schon, dass wir eine sehr naturnahe Haltung betreiben und unsere Tiere zufrieden sind.“

Deshalb ärgert es ihn, wenn alle Bauern über einen Kamm geschoren werden. „Das seit Generationen angesammelte Wissen sollte wieder mehr geschätzt werden und vielleicht weniger auf rein akademische Wissenschaftler gehört werden, die nur einen Blick von außen auf die Höfe werfen und nicht auf deren individuelle Situation eingehen. Ich glaube, wenn wir wieder mehr einbezogen würden in das Gesamtbild der Landwirtschaft, könnten wir auch etwas optimistischer in die Zukunft schauen.“

Familie Leitner beim Aufwärmen und der gemeinsamen Brotzeit nach dem Almauftrieb im Regen.

Eine Privatkäserei wie Bergader als Partner hält er deshalb für sehr wichtig, weil sie die Art und Weise, wie die Bergbauern produzieren, in puncto Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft der Öffentlichkeit transparent macht. Das sei auch deshalb nötig, weil die Gesamtsituation, vor allem die Preisbildung, in der Lebensmittelbranche ohnehin schon schwierig ist.

Für diese Probleme Lösungen zu finden, wird über kurz oder lang auf Martin jun. zukommen. Mit den Geschwistern ist verabredet, dass er den Hof übernehmen wird. Vergrößern will er den Betrieb auf keinen Fall, um in keine zu große Abhängigkeit von Weltmarkt und Milchpreis zu geraten. Dann müsste ein Kredit aufgenommen, ein neuer Stall gebaut werden.

Dass der Hof schuldenfrei ist, soll auch in Zukunft so bleiben. Hilfreiche Nebenerwerbsquellen sind zum einem der eigene Mischwald mit Buchen, Tannen, Ahorn und Eschen. Ein Teil des Holzes lässt sich verkaufen, der Rest ist nützlich für die Hackschnitzelheizung. Zum anderen werden Ferienwohnungen an Gäste vermietet, die eine Affinität zur Landwirtschaft mitbringen, worum sich bereits jetzt Martin jun. mit seiner Partnerin kümmert. Produkte wie Milch, Joghurt, Fleisch, Gemüse und Obst werden direkt am Hof angeboten. „Wenn Martin mal eingespannt ist, dann helfe ich natürlich aus“, erklärt Magdalena. „Aber er bezahlt mich dann auch.“

Nach der Übernahme werden wieder zwei Generationen gemeinsam auf dem Hof leben. Konflikte gibt es immer mal wieder. „Da ist es gut, dass jede Partei ihren eigenen Zugang zum Haus hat“, findet Magdalena. Zwar prallen zuweilen schon unterschiedliche Meinungen aufeinander, wie Martin jun. auch zugibt. Letztlich sei er aber froh, von den Erfahrungen der Eltern profitieren zu können. „Andererseits können wir jungen Leute dann im Gegenzug, beispielsweise bei der modernen Technik, unseren Input geben.“ Beide sind sich einig, dass das positive Miteinander bei weitem überwiegt und Martin jun. fügt hinzu: „Es gibt eben in der Landwirtschaft Momente wie den Almauftrieb, wo man die ganze Familie und Freunde braucht. Und eine gemütliche Brotzeit darf am Ende natürlich nicht fehlen.“

Martin Leitner sen. mit Helfern nach erfolgreichem Almauftrieb zur Roten Valeppalm