Der Schreyerhof in Fischbachau
Wenn ein Hof seit fast 600 Jahren in Familienbesitz ist, dann ist das für die derzeitige Generation eine Verpflichtung, die durchaus manchmal eine Bürde sein kann. Andererseits erwächst daraus auch das Selbstbewusstsein, sich so schnell durch nichts erschüttern zu lassen. „Es gab immer wieder schwere, herausfordernde Zeiten, aber irgendwie konnte man immer weiter machen“, erzählt Klaus Schreyer, der seit 1996 die Verantwortung trägt, dass es auch jetzt weitergeht. „Unser Hof ist seit 1452 immer von einem Sohn weitergeführt worden und so ist jetzt aus einem kleinen Hof ein mittelständischer Betrieb geworden.“
Eigentlich hatte der 62-Jährige einmal ganz andere Pläne. Obwohl auf dem Hof zur Welt gekommen und mit der Landwirtschaft von Kindesbeinen an vertraut, wollte er Mechaniker werden. Dann wurde der Vater krank und war nicht mehr in der Lage, den Betrieb alleine zu führen. Die Übergabe verlief gleitend. „Ich war im Winter in der Berufsschule in Miesbach“, erinnert sich Klaus, „und Stück für Stück hat mir mein Vater mehr freie Hand gelassen. Heutzutage ist es schwieriger geworden, auch wegen des Finanzamts und den neuen Gesetzen. Aber bisher hat es jede Generation geschafft, den Hof ordnungsgemäß zu übergeben, und ich hoffe, dass ich das genauso hinbekomme.“
Für diese Kontinuität verbürgt sich bereits jetzt Klaus Schreyer jun., der jüngere der beiden Söhne. Weil sich sein Bruder Andreas für die Landwirtschaft nicht recht erwärmen konnte, sieht er sich doppelt in der Pflicht. „Unsere Familiengeschichte mit dem Hof reicht ja bereits 600 Jahre zurück. Ich bin hier schon als Kind hineingewachsen. Somit muss man das als junger Bursche natürlich fortführen.“ Seinen Meister hat er bereits in der Tasche, verheiratet ist er seit kurzem auch. Obwohl Klaus jun. derzeit noch zusätzlich auf dem Bau arbeitet, hat der nächste logische Schritt bereits begonnen.
„Wir sind im Prozess der Übergabe“, erläutert Klaus sen. „Allerdings müssen noch einige Fallstricke geklärt werden, damit es für alle Partien passt und gerecht ist. Die nächste Generation soll auch investieren können, denn die Qualitätsansprüche der Abnehmer und Kunden ändern sich stetig. Wenn du stillstehst, bist du irgendwann weg aus der Branche.“
Vielleicht liegt es an der gewachsenen Tradition, dass sich die Familie in der Gesellschaft für Belange einsetzt, die über die eigenen Interessen hinausgehen und den gesamten Berufsstand betreffen. So war Klaus Schreyer sen. schon zweimal in der Sendung „Jetzt red i“ des Bayerischen Rundfunks zu Gast, um zu Themen wie „Wald“ oder „Tourismus“ in der Region Stellung zu nehmen. Offenheit sei wichtig, um Vorurteile abzubauen. „Bei mir ist jeder willkommen, beim Hof hereinzuschauen, wenn er mag“, meint der Landwirt.
Ein Ereignis, über das sich Klaus hingegen nur ungern äußert, brachte ihn 2006 unfreiwillig ins Rampenlicht. Damals wurde im Auftrag der bayerischen Staatsregierung ausgerechnet auf der von der Familie bewirtschafteten Kümpfl-Alm der Bär Bruno erschossen, was ein internationales Medienereignis auslöste. Radikale Tierschützer waren empört. Die „Frankfurter Allgemeine“ spottete in einer Kolumne, die Sennerin Doris als „bayerische Maid“ hätte den männlichen „Beschützerinstinkt“ der CSU geweckt und machte aus dem „Problem- Bären“ eine „Problem-Alm“.
Tatsächlich hat die auf 1500 Metern gelegene, landschaftlich traumhaft schöne Alm Probleme ganz anderer Art. Früher standen hier sieben Hütten. Nachdem viele Betriebe aufgegeben haben, sind es heute nur noch drei. Und seit 2006 ist es immer schwieriger geworden, Senner oder Sennerinnen zu finden, zumal es dafür im Gegensatz zu früher nur noch während der drei Sommermonate Bedarf gibt.
Obwohl Klaus Schreyer damals öffentlich erklärte, er hätte es besser gefunden, den Bär artgerecht zu betäuben und in einem Wildpark unterzubringen, geriet er ins Fadenkreuz der Bruno-Fanatiker. Es kam zu Morddrohungen, Kühe wurden mit brauner Schuhcreme als Bären angemalt, andere lagen eines Tages bewusstlos und mutmaßlich vergiftet auf der Weide. Die wirtschaftlichen Probleme der Bauern, die getöteten 31 Schafe sowie Ziegen, die von Bruno verwüsteten Ställe und Bienenstöcke spielten in der von Hysterie bestimmten Diskussion kaum eine Rolle. Die irrationale Vermenschlichung eines wilden Raubtieres zeigte den verständnislosen Blick großer Teile der Öffentlichkeit auf die Natur im Allgemeinen und die althergebrachte Nutztierhaltung im Besonderen.
Kathi Schreyer, die vor 36 Jahren „in den Betrieb eingeheiratet“ und zuvor bereits auf einem kleinen Bergbauernhof gelebt hat, ist gesellschaftlich mindestens ebenso stark engagiert wie ihr Mann. Sie vertritt die CSU im Gemeinderat von Fischbachau und setzt sich für eine Balance zwischen Umweltbewusstsein und Tradition ein. Als 2022 im Ort diskutiert wurde, ob die Sternenbeleuchtung am Rathaus in der Adventszeit abgeschafft werden solle, sprach sie sich dagegen aus. Der ökologische Gedanke sei an sich richtig, doch da sich Fischbachau bereits jetzt vorwiegend mit Photovoltaik und Wasserkraft versorge, brauche man kein schlechtes Gewissen zu haben, die Weihnacht feierlich zu begehen. Da wundert dann auch die Einladung zu einer Podiumsdiskussion der Grünen nicht, bei der Kathi gemeinsam mit den Gastgebern gegen ein Verbot der Anbindehaltung zu Felde zog.
Dabei wäre der eigene Hof von einer solchen Regelung gar nicht betroffen. „Wir haben schon seit 1990 einen Laufstall, den ältesten Laufstall im ganzen Leitzachtal“, berichtet Kathi mit Stolz. „Wir haben uns damals verschiedene Varianten angesehen. Für uns war wichtig, dass die Tiere so sauber wie möglich stehen und sich wohlfühlen. Nach der ersten Eingewöhnungsphase haben das die Kühe gut angenommen.“ Dazu gehörte auch, das Verhalten der Tiere untereinander in den Griff zu bekommen: „Nicht alle Kühe sind Freundinnen und man muss schauen, dass die rangniederen Tiere genug zu trinken und zu fressen bekommen. Von Kühen kann man Mobbing lernen.“
Dieses zu unterbinden, scheint auf dem Schreyerhof eine ähnliche Priorität zu haben wie der Kampf gegen das Mobbing unter den Angestellten in einem Büro. Den Grund benennt Klaus sen. folgendermaßen: „Die Tiere sind sprichwörtlich meine Mitarbeiter im Stall, sie pflegen meine Landschaft. Das muss einem bewusst sein. Wenn ich die Tiere nicht angemessen behandle, bekomme ich auch keinen Ertrag.“ Teil dieser Einstellung ist, keinen maximalen, sondern einen vernünftigen Ertrag anzustreben. „Die Futterart muss gesunderhaltend und nicht produktionssteigernd sein. Lieber eine gesunde Kuh, die eine ordentliche Durchschnittsmenge an Milch produziert, als eine, die ständig Höchstleistungen erbringen muss.“
Die hofeigene Feuchtwiese wird nicht gedüngt und nur einmal im Jahr gemäht, da sie selbst bei normaler Witterung auch im Sommer ihre Feuchtigkeit beibehält. Auf diese Weise findet sich hier eine erstaunliche Artenvielalt, auch von sehr seltenen Pflanzen, und das gewonnene Heu ist von besonderer Qualität. Nicht immer ist die Wiese mit Maschinen befahrbar, was dann Handarbeit und somit einen erheblichen Mehraufwand erfordert. Selbst Großmutter Resi, die über die Wiese ins Schwärmen gerät, wird dann benötigt. „Ich bin auch schon noch eingegliedert und solange ich helfen kann, helfe ich“, sagt Resi. „Mit 84 Jahren geht das aber halt manchmal etwas langsamer.“
Die Kooperation mit Bergader sei von Verständnis für die jeweils andere Seite geprägt, sowohl was Preisabsprachen als auch Qualitätsansprüche betrifft. Man sei voneinander abhängig, meint Klaus Schreyer sen. „Sie veredeln letztendlich unser Produkt und werben dafür. Wenn jemand Käse von Bergader kauft, kann er sicher sein, dass sie für den Erhalt der Artenvielfalt in unserer Region einstehen.“
Ganz plastisch erinnert sich Klaus an den besonderen Besuch einer Familie an einem Sommertag mit traumhaft schönem Wetter. Nachdem sich die Gäste auf dem Hof umgeschaut hatten, nahm ihn der Mann beiseite. Es sei so schön hier und er würde den Hof sehr gern kaufen. Geld spiele keine Rolle. Auf den skeptischen Blick des Hofeigners hin konkretisierte er, zwischen 10 und 15 Millionen Euro könne er bieten.
„,Der Hof ist unverkäuflich‘, sagte ich. ,Unmöglich. Mit Geld kann man alles kaufen‘, erwiderte der Mann. ,Aber diesen Hof nicht!‘, war meine Antwort. ,Denn das ist meine Heimat.‘“