Der Seebacherhof in Bad Feilnbach
Vier oder fünf Apfelsorten, mehr bekommt man in einem durchschnittlichen Supermarkt selten zu Gesicht. Und es sind immer dieselben. Extra süß wie der unvermeidliche Golden Delicious, im schicken grünen Design wie der Granny Smith oder auch gleich noch patentiert wie die sogenannten Clubsorten, von der die Pink Lady die Bekannteste sein dürfte.
Auf seinem Hof, der sich seit 1861 in Familienbesitz befindet, baut Christian Seebacher hingegen gleich 56 Sorten an, darunter viele, an die sich zumeist nur noch die Großeltern erinnern, wie die Goldparmäne oder die Sternrenette. Mindestens ebenso eindrucksvoll ist die Vielfalt an Zwetschgen und Pflaumen (zwanzig Sorten) sowie Birnen und Kirschen (jeweils zehn Sorten). Das alles gedeiht an nur sechzig Hochstämmen, zu denen noch 1800 Spindelbüsche hinzukommen.
Als nützlich erweisen sich die zahlreichen Obstsorten vor allem wegen des Hofladens, den es bereits seit 1950 gibt. Durch die unterschiedlichen Blütezeiten lassen sich so von Frühjahr bis Herbst jeweils andere saisonale Angebote machen. Dass Christian und seine Frau Agnes gerade in den letzten Jahren die Produktpalette immer weiter ausgeweitet haben, hat aber auch mit Experimentierfreude und Liebhaberei zu tun. Freilich mögen es die Kunden neuerdings zunehmend, vergessene Sorten wiederzuentdecken und so dem Einheitsallerlei der Discounter zu entgehen.
Längst bietet der Hofladen aber mehr als lediglich frisches Obst. Es gibt Schnäpse und Liköre, beispielsweise den ortstypischen Apfelbrand, eine unerschöpfliche Vielfalt an Marmeladen, Gelees und Chutneys, dazu eingelegtes Gemüse, Honig und verschiedene Essigarten – alles ganz überwiegend auf Basis der eigenen Ernte. „Die Leute schätzen es, dass sie bei uns handgemachte Lebensmittel bekommen, ohne Chemikalien oder sonstige industrielle Zusätze“, weiß Agnes Seebacher.
Der Hofladen stellt für den landwirtschaftlichen Betrieb der Familie Seebacher lediglich einen Nebenerwerb dar, allerdings einen für diese Gegend charakteristischen. „Bad Feilnbach wird ja auch das bayerische Meran genannt“, erläutert Christian. „Hier wächst Obst einfach gut.“ Seit 1970 ist die Vermietung von Fremdenzimmern eine zusätzliche Einnahmequelle. Anfangs lohnte sich das vor allem wegen des ausgedehnten Kurbetriebs im als Heilkurort anerkannten Gemeindegebiet. Mittlerweile bieten die Seebachers auch zwei Ferienwohnungen für Familien, die Urlaub auf dem Bauernhof machen wollen.
Zu bewältigen ist der Mehraufwand nur, weil drei Generationen gemeinsam anpacken. Johann und Theresia sind immer noch rührig, obwohl sie den Hof bereits 2016 in die Hände ihres damals 39 Jahre alten Sohnes Christian und seiner Frau Agnes gelegt haben. Deren drei Kinder Barbara, Martin und Regina sind es von klein auf gewohnt, bei der Arbeit dabei zu sein. Freilich soll sich die Gemeinschaft nicht im gemeinsamen Tätigsein erschöpfen. „Die Familie steht an erster Stelle“, sagt Agnes Seebacher. „Am schönsten ist die ruhige Adventszeit. Nachdem wir das ganze Jahr gerackert haben, sitzen wir dann um den Adventskranz und genießen die weihnachtliche Stimmung.“
Agnes stammt aus Bad Feilnbach und wollte eigentlich den Beruf ausüben, den nun Tochter Barbara ergriffen hat: Konditorin. Im Ort fand sich dafür damals keine Lehrstelle, doch weil sie aus der Gegend nicht fortwollte, ging sie zur Fachklinik Reithofpark und sattelte auf Hotelfachfrau um, wofür es in Bad Feilnbach praktisch eine Jobgarantie gibt. Heute kommt ihr die Ausbildung bei der Vermietung und im Service auf dem Seebacherhof zugute. Doch trotz des vielen Waschens, Bügelns und Zimmerherrichtens ist auch Agnes täglich im Stall und kümmert sich um das Milchvieh.
Zum Hof gehören sechzig Kühe und vierzig Jungtiere. Von der Nachzucht verbleiben die meisten weiblichen Tiere, die männlichen werden verkauft. Bis 2004 wurde die Anbindehaltung praktiziert, doch durch die Straßennähe und den zunehmenden Autoverkehr war dies schließlich keine Option mehr, weil die Tiere nicht gut ins Freie gelassen werden konnten. Jetzt gibt es stattdessen einen Laufstall, der sich komplett öffnen lässt, um kühle Luft zuzuführen, und zum Zwecke des Tierwohls um einen Auslauf erweitert werden soll. Seither ist die Arbeit im Stall leichter und körperschonender geworden.
Man könne die heutige Landwirtschaft nicht mehr mit der traditionellen vergleichen, findet Christian Seebacher. Zwar hätten die Bauern früher auch ihre Erträge eingefahren und sicherlich nicht schlechter gewirtschaftet, dennoch hat sich die Anschaffung von zwei neuen Traktoren mit GPS-Technik für ihn ausgezahlt. „Der Fortschritt durch die Technik hat sicherlich seine Vorteile“, meint der Hofeigner. „Aber ich brauch keine Sortieranlage und keinen Pflückroboter, wenn ich als Obstbauer meine Produkte im Hofladen verkaufe. Da stelle ich mir lieber zwei Leute ein und dann wird das umgesetzt wie früher.“
Einerseits sei es für ihn keine allzu große Herausforderung gewesen, den Hof zu übernehmen. „Du wächst zuhause auf und dir wird alles gezeigt. Es ist ein Hineinwachsen und du springst nicht ins kalte Wasser.“ Dennoch kommt es mit einer ganz anderen Verantwortung, finanzielle Entscheidungen zu treffen, zum Beispiel, ob sich neue Geräte amortisieren werden oder nicht. Dabei ist es die abwechslungsreiche Arbeit in der Natur, die Christian an seinem Beruf am meisten schätzt: „Jeder hat seine Interessen, aber ein Bürojob wäre nichts für mich.“ Doch genau damit muss sich der Hofeigner nun zunehmend herumschlagen. „Die größte Veränderung ist die wachsende Bürokratie. Heutzutage verbringst du gefühlt mehr Zeit am Schreibtisch als auf dem eigentlichen Hof.“
Dass sein Sohn Martin den Hof einmal übernehmen wird, ist ausgemachte Sache. Lange überlegen musste er da nicht. „Natürlich probiert man in der Jugend auch andere Sachen wie Schreiner, Mechaniker oder Ähnliches aus, um einen besseren Überblick über die Berufsmöglichkeiten zu bekommen. Aber Landwirt zu sein, macht letztlich so viel mehr Spaß.“ Seine Lehre hat er bereits abgeschlossen und steht nun vor dem Erwerb des Meistertitels. „An dem Beruf Landwirt gefällt mir am meisten, dass kein Tag wie der andere ist. Wenn das Wetter mal nicht mitspielt, muss man sich anpassen. Es ist schön, jeden Tag mit den Tieren aufzuwachen, sie zu versorgen und zu sehen, wie alles gedeiht.“
Da er von klein auf mit dem Hof vertraut ist, hat Martin genaue Vorstellungen, was Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft konkret bedeutet. Zum Beispiel nicht mit schwerem Gerät auf feuchten Flächen zu fahren oder zur Blütezeit Hummeln anzulocken, damit sie die Obstbäume bestäuben. „Wenn ich nachhaltig wirtschafte, bekomme ich von der Natur zurück, was ich ihr gebe.“
Für seinen Vater ist diese langfristige Perspektive ein Grund mehr, auch die Schattenseiten des Hofmanagements zu bewältigen. Von vielen Gästen hört er, dass es deren Kinder trotz aller Liebe zu „Ferien auf dem Land“ am Ende doch in Richtung Stadt zieht. „Daher ist es schon als Geschenk zu sehen, wenn das eigene Kind entscheidet, den Hof weiterzuführen. Etwas Schöneres gibt es ja eigentlich nicht.“